Lokalisierungsvorschlag der Quedlinburg in der oberen Grafschaft Hartenstein
Michel Hilbert, Stand 22.12.2021
1. Vorwort
Das Erzgebirge besitzt aus der Zeit der hochmittelalterlichen Ostsiedlung eine Vielzahl an Ortschaften und Burgen. Doch wie bei den Ortswüstungen, haben auch nicht alle Burgen die Zeit überstanden. Zu diesen Burgen zählt auch die Quedlinburg zwischen Elterlein und Burgstädtel. Mit Hilfe der wissenschaftlichen Ausarbeitungen von dem Heimatforscher Leo Bönhoff aus den ersten Jahrzenten des vorigen Jahrhunderts und den seit 2019 öffentlich verfügbaren digitalen Geländemodellen soll in dieser Ausarbeitung der Standort der Quedlinburg lokalisiert und der Grundriss rekonstruiert werden.
2. Geschichte
Eine Burg in der Nähe von Elterlein wird erstmals in der “Meißnische Land- und Berg-Chronica” aus dem Jahr 1590 bei Albinus genannt: (S. 231)
“Das Elterlein so auch zuvor Schönburgisch gewesen / soll nach dem gemeinen bericht der alten Leut stets / was die bewohnung des orts anlangent / weit über 600. Jahr alt gehalten worden sein / Auch vor etlich hundert Jahren Quedlinburg geheisen haben […] Was den Namen Quedlenburg belangent / kan es wol sein / das ein Schloß daselbst gestanden / so von den Harz Sachsen in den Wendisschen kriegen gebawet und genennet worden ”.
Ein weiteres Mal findet sie in einem lateinischen Gedicht über Schwarzenberg von Christian Lehmann Erwähnung: (S. 5312)
„Namque Elterlinum, quod priſca vocauerat olim Lingua Quedlinburgum“
„Für Elterlein, das früher Quedlinburg genannt wurde“
Der aktuelle Wissensstand der Quedlinburg spiegelt sich hauptsächlich in den Ausarbeitungen des Heimatforschers Leo Bönhoff wieder. Als erstes kann hier eines seiner Hauptwerke „Der ursprüngliche Umfang der Grafschaft Hartenstein“ genannt werden, in welchem er die Quedlinburg als einzige Burg der oberen Grafschaft Hartenstein beschreibt. Böhnhoff vermutete einen eigenen Burgbezirk, da die Ortschaften Schwarzbach, Langenberg, Raschau, Markersbach und Scheibe im Jahr 1234 vom Burggrafen Meinher II. von Meißen aus Elterlein ausgepfarrt und dem Kloster Grünhain gestiftet worden sind. Die ehemalige Zugehörigkeit lässt sich noch im Jahr 1540 durch ein ausgezahltes „Restaurum“ („Anerkennungsgebühr einer Filial- gegenüber der Pfarrkirche“) des Elterleiner Pfarrers aus der Kirchkasse nachweisen. Der Umfang des kompletten Burgbezirkes würde nach Böhnhoff Elterlein (als einzige Stadt – siehe Namensbeschreibung Elterlein), Grünhain, Bernsbach, Sachsenfeld, Beierfeld, Wildenau, Holzenhain (Wüstung), Schwarzbach, Ober-/ Niederscheibe, Raschau, Pöhla (Großpöhla), Markersbach, Neudorf und Unterwiesenthal entsprechen (siehe Anhang 2). Scheibenberg, Langenberg und Oberwiesenthal befinden sich im alten Burgbezirk, wurden aber erst später gegründet. (S. 2333) Während eines späteren Nachtrages aus dem Jahr 1912 verwirft er die Idee eines eigenen Burgbezirkes und hält, ähnlich wie die Burg am Kühberg/ Bärenstein, die Funktion einer „Straßenbefestigung“ für wahrscheinlich (S. 1634). 1942, 1 Jahr vor seinem Tod, setzt er den „Mons Luderin“ als Südgrenze des Gaues Zwickau aus dem Jahr 1118 mit der Quedlinburg auf dem Schatzenstein gleich (S. 935). In der modernen Forschung wird der „Mons Luderin“ als „Berg mit einer Stelle für ausgelegte Tierkadaver“ auf der „Hohen Warte“ bei Aue-Bad Schlema vermutet (S.26). Nennenswert ist des Weiteren ein vermuteter Zusammenhang des Heimatforschers Hermann Löscher zwischen der Wüstung Westerfeld und der Quedlinburg, welche 1233 vom Burggraf Meinherr an das Kloster verschenkt wurde. Westerfeld soll 1233 bereits wüst gewesen sein und wird bei den „Zwölf Lehen“ auf dem Ziegenberg in der Nähe von Zwönitz vermutet (S. 707) (S. 298). Eine weitere Wüstung mit dem Namen „Glasberg“ lässt sich westlich des Schatzensteines am Oswaldbach nachweisen (9).
Böhnhoff vermutete die Burg auf einem Drittel der Strecke von Elterlein nach Zwönitz in der Nähe von Burgstädtel. (S. 2783) – (siehe Anhang 2). Dabei leitete er Burgstädtel von „Stadel“ (Standort einer Burg) und Elterlein von „das Alter“ (alte wüste Gegend – Bezug auf die Burgruine) ab. Eine Herleitung des Ortsnamens Elterlein von Altärlein (Altar) lehnt er ab (10). Laut dem Historischen Ortsnamenbuch von Sachsen wird Burgstädtel als „Burgkstedell“ im Jahr 1587 das erste Mal urkundlich erwähnt und diente als Vorwerk einer nicht mehr bekannten Burg (S. 12711). Dieses Vorwerk lässt sich auf einem Öder-Zimmermann Riss (12) aus dem Jahr 1616 nachweisen - (siehe Anhang 3). Für Elterlein gibt das Historische Ortsnamenbuch eine Ersterwähnung von 1406 als „Elterlin“ an (Urkunde beschreibt die Verpfändung der Grafschaft Hartenstein von den Meinheringern zu den Schönburgern). Als Namensherkunft wird im Gegensatz zu Böhnhoff ein Altar (Siedlung bei/mit dem kleinen Altar) bevorzugt. Ein vorheriger Ortsname wird nicht ausgeschlossen (S. 24411).
3. Lokalisierung
Aufgrund der ungefähren Positionsbeschreibung der Quedlinburg von Böhnhoff konnte mit den seit 2019 frei verfügbaren digitalen Geländemodellen (DGM1 – Gitterweite 1m) und dem Öder-Zimmermann Riss aus dem Jahr 2016 ein potenzieller Standort der Quedlinburg ermittelt werden.
Betrachtet man auf dem Öder-Zimmermann Riss den Bereich zwischen Elterlein und Zwönitz, fällt der Hauptverbindungsweg „N“ zwischen Elterlein und Zwönitz auf (siehe Anhang 3). Der Weg verlässt in nordwestlicher Richtung die Stadt Elterlein, verläuft östlich am Schatzenstein vorbei, danach zwischen dem schwarzen Stein und dem Katzenstein auf die Grünhainer Straße. Kurz vor der Einmündung auf die Grünhainer Straße verzeichnet der Öder-Zimmermann Riss das Zwönitzer Gericht (Galgen) ([12). Zieht man die Berliner Meilenblätter aus dem Jahr 1790 (S. 2313) zum Vergleich heran (siehe Anhang 4), stellt man einen Bedeutungsverlust des alten Weges „N“ fest. Noch bestehende Teile des Weges werden als unbedeutende Waldwege dargestellt. Das Hauptgebiet unseres Untersuchungsgebietes am Schatzenstein fehlt gänzlich. Stattdessen hat die Wegeführung über Burgstädtel an Bedeutung gewonnen. Aufgrund der rekonstruierten böhmischen Steige nach Wisuwa stellt dieser alte Weg genau eine Querverbindung zwischen den böhmischen Steigen Altenburg – Glauchau – Satzung (S. 98 – 10114) und Altenburg – Zwickau – Kühberg dar. Letzterer wurde im Jahr 1118 aufgrund von Zollerwähnungen erstmals urkundlich angeführt (S. 101 – 10414). Manfred Ruttkowski kommt in seinem Hauptwerk „Altstraßen im Erzgebirge – Archäologische Denkmalinventarisation Böhmischer Steige“ zu der Annahme, dass es sich bei dem Weg „N“ am Schatzenstein um einen Vorläufer der zwei genannten böhmischen Steige mit dem Verlauf „Altenburg – Glauchau – Elterlein – Schlettau – Kühberg“ handeln muss. Der Schatzenstein wurde bei dieser Frühroute durch eine nördliche „n“ und südliche „s“ Linie umlaufen. Der Bedeutungsverlust des Weges „N“ lässt sich mit der Erwerbung von Zwönitz um das Jahr 1250 und Elterlein im Jahr 1423 durch das Kloster Grünhain erklären. Die Frührouten änderten ihre Wegeführungen und entwickelten sich zu den bei Wisuwa genannten böhmischen Steigen. Der Weg „N“ besaß seitdem nur noch einen regionalen Charakter und verlor bei der Anlage der Zwönitzer Straße durch Burgstädtel seine Funktion gänzlich (siehe Anhang 1) (S. 27515).
Der Öder-Zimmermann Riß verzeichnet bei dem Weg „N“ eine markante Felsformationen, welche sich an einem An-/ und Abstieg 300m nordöstlich des Schatzensteins befindet. Auf den digitalen Geländemodelle können auf einer Breite von etwa 120m mehr als ein Dutzend tiefe Hohlen (eingeschnittener Weg) nachgewiesen werden (siehe Anhang 3). Aufgrund der schwierigen Topografie stellt diese Stelle am böhmischen Steig eine Schlüsselposition bei der Wegeführung dar. Bereits Dr. Otto Birke vermerkt in seinem Werk „Der Bezirk Annaberg im Lichte der Kartographie des 16. und 17. Jahrhunderts“, dass diese Felsformation auf dem originalen Öder/ Zimmermann Exemplar als „Am großen Schatzenstein“ (durchgestrichten) und „Der Schatzenstein“ (korrigiert) bezeichnet wird (siehe Anhang 3 – Original) (S. 4716). Wahrscheinlich wurde ursprünglich lediglich diese Stelle als Schatzenstein bezeichnet und wanderte erst später auf die Bergspitze. Nach Löscher kommt der Name „Schatzenstein“ nicht von einer Stelle wo Räuber/ Zigeuner (Zigeunerbrunnen) ihr Diebesgut aufteilten, wie ursprünglich in Volksmythen vermittelt (17). Stattdessen schließt er sich der Meinung von Heinrich Schurtz an und leitet Schatzenstein von slawisch „Sadu“ ab, was so viel wie „Gerichtsstein“ bedeutet und der Namensgebung des naheliegenden „Gerichtsbaches“ entsprechen würde. Löscher (senior) interpretiert den Schatzenstein zusammenfassend als Stelle, wo die Slawen vor der deutschen Ostbesiedlung unter Schutz des Donnergottes „Perun“ Gericht gehalten haben könnten (18). Nachdem eine slawische Herleitung des Ortsnamens „Zwönitz“ bereits für unwahrscheinlich gehalten wird, muss dies auch bei dem Schatzenstein angezweifelt werden (S.187).
3. Rekonstruktion
Betrachtet man die behandelte Felsformation bei 50.595464, 12.847389 (Dezimalgrad: Breitengrad, Längengrad) über das digitale Geländemodell, kommen vielversprechende Anomalien auf einer Fläche von etwa 40m x 20m zum Vorschein, welche als der ursprüngliche Grundriss der Quedlinburg gedeutet werden kann.
Sichtbar wird ein beinahe rechtwinkliger Bering mit einer Größe von etwa 18,5 m x 29 m mit einer südlich anschließenden kreisrunden Erhebung. Die Grundburg mit Bergfried (gestrichelter Kreis) scheint sich auf der südlichen Seite auf einer Fläche von 18,5 m x 10 m befunden zu haben. Die vorgefundenen Maße des Berings und des integrierten Bergfriedes sind in etwa vergleichbar mit der Burg am Niederlauterstein (S. 4519). Eine sichtbare östliche Vertiefung (siehe Anhang 4 – hellblaue Linie) könnte, ähnlich wie die naheliegende Burg „Schloßstein“ bei Bärenstein, als Zisterne gedient haben (S. 5119).
Die Burg ist über 2 Wege erreichbar. Auf der östlichen Seite wurde der alte Weg „N“ (Zwönitz – Elterlein) an die Burg geführt. Dafür wurde zum Teil ein Anstieg durch den Felssporn getrieben. Der westliche Burgeingang scheint mit einem Graben gesichert worden zu sein (siehe Anhang 4 – gelbe Linie). Westlich zeugt ein weiterer Weg für einen zweiten Eingang. An der nördlichen Seite des Felssporns befindet sich ein Steinbruch.
4. Schlusswort
Die unmittelbare Lage an einem böhmischen Steig untermauert die Vermutung von Bönhoff, dass es sich bei der Quedlinburg um eine Straßenbefestigung gehandelt haben muss. Sie diente wahrscheinlich ähnlich wie die Burg „Schloßstein“, die sich am selben böhmischen Steig befunden hat, als Kontroll- und Einnahmestelle für Zoll und Geleit (S. 7419). Direkte Quellen, welche auf einen Herrensitz schließen könnten, fehlen ebenso bei der Burg „Schloßstein“ oder der Herrmannsburg bei Hermannsdorf. Bautechnisch ist zu vermuten, dass die Höhen- /Spornburg größtenteils aus Holz bestand. Der nördlich befindliche Steinbruch könnte auf eine Teilversteinerung hindeuten. Das Entstehungsdatum kann aufgrund der deutschen Ostkolonisation und vergleichbaren Burgen am böhmischen Steig grob im 12. Jahrhundert vermutet werden. Nach der Kriegschronik von Christian Lehmann wäre eine Zerstörung der Burg im Jahr 1429 durch die Hussiten vorstellbar. Dafür würde die nachweisliche Zerstörung des Vorwerks Burgstädel und die Verwüstung der umliegenden Städte Zwönitz, Elterlein und Grünhain sprechen (S. 820).
Ich hoffe mit dem vorliegenden Lokalisierungsvorschlag Impulse für eine weiterführende Erforschung liefern zu können!
Bilder
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Albinus P (1590) Meißnische Bergk-Chronica. Darinnen fürnemlich von den Bergkwercken des Landes zu Meissen gehandelt wirdt. [s.n.] @: Dresden ↩
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Johann Christian Schöttgen (1732) Diplomatische und curieuse Nachlese der Historie von Obersachsen und angrentzenden Ländern. Bd. 2, Theil 7 ↩
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Leo Bönhoff Der ursprüngliche Umfang der Grafschaft Hartenstein. In: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde, 209–278 ↩ ↩ ↩
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Leo Bönhoff (1912) Die Burgen des sächsischen Erzgebirges. Nachträge und Verbesserungen. Glückauf! Zeitschrift des Erzgebirgsvereins. ↩
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Leo Bönhoff (1942) Ortstafel des sächsischen Erzgebirges in zeitlicher Folge bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, nach Landstrichen geordnet. Glückauf! Zeitschrift des Erzgebirgsvereins.:93–97 ↩
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Karlheinz Hengst (2018) Die Bedeutung der Urkunde zur Weihe der St. Marien-Kirche in Zwickau 1118. Sächsische Heimatblätter:2–3 ↩
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Uwe Schneider (2016) Chronik der Stadt Zwönitz 960 - 1945. Ein Handbuch ↩ ↩
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Herrmann Löscher Flurnamen von Zwönitz ↩
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Eberhard Groß (2003) Waschleithe – ein kleines Dorf im Kloster- und Gebirgsamt Grünhain. ↩
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Leo Bönhoff Quedlinburg. Zeitschrift des Erzgebirgsverein 1928:181–182 ↩
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Ernst Eichler (2001) Historisches Ortsnamenbuch von Sachsen / Band I: A - L ↩ ↩
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Zimmermann (1616) Gegend zwischen Schlettau, Grünhain, Stollberg und Thum ("Kopie von Riß C" (Schr. I, F. 3, Nr. 12, in Schr. XVI) ↩ ↩ ↩
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Hans Brunner (Hrsg) (2005) Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen. Die sächsische Landesaufnahme von 1780 bis 1825 ↩
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Wißuwa R (1987) Die Entwicklung der Altstraßen im Gebiet des heutigen Bezirkes Karl-Marx-Stadt von der Mitte des 10. Jh. bis zur Mitte des 14. Jh. Ein Beitrag zur Rekonstruktion des Altstraßennetzes auf archäologischer Grundlage. Dissertation. Pädagogische Hochschule Dresden ↩ ↩ ↩ ↩
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Manfred Ruttkowski (2002) Altstraßen im Erzgebirge. Archäologische Denkmalinventarisation Böhmische Steige. Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege:264–297 ↩ ↩
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Dr. Otto Birke (1913) Der Bezirk Annaberg im Lichte der Kartographie des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts und dazu gehöriger Akten ↩
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Friedrich Hermann Löscher Der Schatzenstein. In: Aus dem Zwönitzthale 1897, 108–111 ↩
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Heinrich Schurtz Fergunna. In: Das Ausland 1890, 301–306 ↩
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Volkmar Geupel (2013) Führer zu den Burgen und Wehrkirchen im Erzgebirgskreis ↩ ↩ ↩
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Christian Lehmann (1998) Die Kriegschronik. Sachsen mit Erzgebirge ↩
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Zimmermann (1616) Bl. 10b+11 : Gebiet zwischen Elterlein, Schwarzbach, Schlettau und Walthersdorf, 1:13 333, 1586-1634 (Makro 00715 & (Schr R, F 003, Nr 010b+11)) ↩
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Zimmermann (1616) Bl. 11b : Gebiet um Elterlein bis Schwarzbach und Schatzenstein, 1:13 333, 1586-1634 (Makro 00717 & (Schr R, F 003, Nr 11B)) ↩