Plansch Kunstfestival Begehungen 22 Thalheim Erzgebirgsbad
Virtuelle Räume einfach selbst gestalten
Bericht über den Mozilla Hubs-Workshop mit Künstlerin Giulia Bowinkel
Von Tina Sauerländer
Das Eintauchen in das kühle Nass ist im ehemaligen Erzgebirgsbad Thalheim heute nicht mehr möglich. Stattdessen können die Besuchenden nun in virtuelle Welten abtauchen. In einem Workshop mit Giulia Bowinkel, Teil des bei Berlin ansässigen Künstlerduos Banz & Bowinkel, haben die Teilnehmenden des Workshops, Mitglieder des Kreativtreffs der gemeinnützigen Stiftung Tholm aus Thalheim – Wiebke Arnold, Henry Ebert, Michel Hilbert und Vanessa Schüppel – eigene virtuelle Räume zur Kunst und Geschichte des Ortes Thalheim kreiert, die nun auf dem Begehungen Festival besichtigt werden können, und zwar mit einer VR (Virtual Reality)-Brille.
Virtuelle Räume bieten die Möglichkeit, sich in ihnen mithilfe von Avataren (digitalen Verkörperungen der Benutzenden) zu bewegen und sich mit anderen Besuchenden zu unterhalten. Dank neuer VR-Technologien und kostenfreier Programme wie Mozilla Hubs sind diese Räume über den Internet-Browser zugänglich und können vom Computer aus oder mit einer VR-Brille betreten werden. Jede*r mit gutem Internetzugang und einem neueren Computermodell kann im Grunde solche virtuellen Räume selbst gestalten, ohne teure Software oder Programmierkenntnisse, und mit dem Tool Mozilla Hubs. Was man mit diesen Möglichkeiten anstellen kann, erfahren die Teilnehmenden des Workshops von der Künstlerin Giulia Bowinkel, die seit über 10 Jahren als Teil des Künstlerduos Banz & Bowinkel das Potenzial des Digitalen auslotet. Die vorherigen Erfahrungen der Teilnehmenden mit immersiven Technologien sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von kaum Vorkenntnissen bis zur Vertrautheit mit virtuellen Umgebungen und Computerspielen. Andere arbeiten mit CAD-Software (Programme zur Gestaltung von Gebäuden und Produkten im technischen Bereich) oder Fotogrammmetrie, mit der physische Räume oder Objekte als 3D-Scan digitalisiert werden. Wiebke Arnold erläutert ihre Motivation für die Teilnahme am Workshop: „Es ist eine reizvolle Idee, statt eines einfachen Bildes oder eines Videos nun Inhalte im dreidimensionalen Raum erlebbar zu machen und dabei verschiedene Medien zu kombinieren.“
In dem Workshop vermittelte Giulia Bowinkel Grundlagen im Arbeiten mit Mozilla Hubs und dem Erstellen von virtuellen Räumen. Nach einer theoretischen Einführung legten die Teilnehmenden selbst Hand an. Bowinkel erzählt: „Ohne Vorkenntnisse konnten alle sehr schnell in nur wenigen Stunden einen eigenen Ausstellungsraum bauen und ihn mit Exponaten füllen.“ Die Teilnehmenden nutzen die Möglichkeit, um die eigene Kunst sowie die Kulturgeschichte Thalheims virtuell zugänglich zu machen. Die Geschichte der Strumpffabriken, der Villen, historische Stadtansichten und Dronenaufnahmen in Thalheim werden zusammen in einem an Industriearchitektur angelehnten Raum präsentiert, den Vanessa Schüppel gestaltet. „Ich war total begeistert davon, was man mit einfachen Mitteln ohne Programmieraufwand in sehr kurzer Zeit umsetzen kann“, berichtet sie. Dennoch erfordert die finale Ausarbeitung der Räume bis ins letzte Detail viel Zeit und Fleißarbeit, wie Schüppel und auch die anderen Teilnehmenden schildern . Wiebke Arnold fertigt einen Raum zur Geschichte des ehemaligen Erzgebirgsbads an und verwendet dafür alte Bilder und Videos über den Ort. Michel Hilbert beschäftigt sich in einem weiteren Raum mit dem ehemaligen Kulturhaus in Thalheim und zeigt alte Aufnahmen des Festsaals sowie Dokumentationen über den Filmzirkel und den Schnitzverein. Der Raum beinhaltet auch 3D-Modelle der Schnitzereien, die Hilbert selbst eingescannt hat. Die gelbe Quietscheente, die in allen Räumen zu finden ist, fungiert Schnittstelle. Mit einem Klick betritt man so den nächsten Ausstellungsraum. Der Thalheimer Künstler Henry Ebert, der sich auf abstrakte sowie Landschaftsgemälde spezialisiert hat, stellt sich die Frage: „Wie kann ich meine Kunst digital im virtuellen Raum vermitteln?“ Er entdeckt die vielseitigen Möglichkeiten und verändert seine digitalisierten Bilder, lässt sie auf wandfüllende Formate anwachsen, oder eröffnet den Blick aus dem Fenster auf die gemalten Landschaften, die er immersiv installiert hat. So wirft er ganz nebenbei die philosophische Frage nach der Realität auf. Was sieht man nun, wenn man aus dem Fenster schaut? Die Wirklichkeit oder eine Simulation?
„Auch wenn Mozilla Hubs nicht alles kann, ist es ideal für Ausstellungen mit verschiedenen Medien, wie Bildern, Videos, 3D-Modellen und Audiodateien“, erklärt Vanessa Schüppel. Alle vier Teilnehmenden sind davon überzeugt, dass sich Virtual Reality als wichtiges Medium für die Zukunft weiterentwickeln wird, denn sie erkennen die vielseitigen Möglichkeiten von virtuellen Räumen. Henry Ebert plant Mozilla Hubs weiterhin für Online-Ausstellungen und Eröffnungen zu nutzen. „Für verschiedene Themen oder Werkgruppen kann ich so ideale räumliche Bedingungen schaffen und den Arbeiten eine zusätzliche Tiefe verleihen“, sagt der Künstler. „Ein großes Potenzial eröffnet sich auch für die Bildung zum Beispiel von Schüler*innen, denn sie haben die Möglichkeit mit einfachen Mitteln virtuellen Räume zu gestalten und sich digitale Kompetenz anzueignen“, sagt Michel Hilpert. „Ich sehe enormes Potential vor allem für den Tourismus-Bereich,“ sagt Vanessa Schüppel, „man könnte markante Aussichtspunkte der Umgebung ganz einfach mittels 360-Grad-Aufnahmen online auf Websites oder über VR-Brillen zugänglich machen.“ Virtual Reality eignet sich auch für Erlebnisse, die im physischen Leben nicht einfach möglich sind, z.B. allein durch das berühmte indische Mausoleum „Taj Mahal“ zu laufen oder in gotischen Kathedralen bis in die Gewölbe hochfliegen, um die Deckengemälde aus der Nähe betrachten zu können. Auch im Alltag eröffnet VR neue Potenziale. „Ich hoffe, dass VR auch die Meeting-Kultur erobern wird“, sagt Michel Hilpert, der bereits eine VR-Brille zu Hause und sie regelmäßig nutzt. „Anders als Meetings über ZOOM könnten Treffen in VR zu einem interaktiven Erlebnis werden“, ergänzt Vanessa Schüppel. Denn mit der VR-Brille sitzt man im Virtuellen nicht vor dem Bildschirm, sondern befindet sich zusammen mit anderen in einem Raum. Wie sich dieses Erlebnis anfühlt, erfahren die Besuchenden nun auf dem Festival.
Bei aller Begeisterung für VR soll es nicht darum gehen, dass virtuelle Welten die physischen ersetzen, sondern darum, sie zu ergänzen. Beide Welten funktionieren unter ihren eigenen Bedingungen und lassen sich je nach geplantem Vorhaben nutzen. „Man kann sich jeweils seine Vorteile daraus ziehen,“ sagt Henry Ebert . Es mag zwar anfangs befremdlich wirken, aber die Menschheit hat sich auch an Strom, das Telefon, oder das Internet gewöhnt. Deshalb lautet die Devise frei nach dem Festival-Motto „Plansch“: Die VR-Brille aufsetzen und in virtuelle Welten eintauchen.1
Weiterführende Links:
Mozilla Hubs: hubs.mozilla.com
Spoke (zur Erstellung der Räume): hubs.mozilla.com/spoke
Kurzes Online-Tutorial auf YouTube: youtube.com/watch?v=6-jLLQDeqBw
Website des Künstlerduos Banz & Bowinkel: banzbowinkel.de
Website der Stiftung Tholm: tholm.art
Website des Künstlers Henry Ebert: henry-ebert.blogspot.com
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Beitrag Tina Sauerländer: Virtuelle Räume einfach selbst gestalten. Bericht über den Mozilla Hubs-Workshop mit Künsterlin Giulia Bowinkel. In: Kunstfestival BEGEHUNGEN 22 Plansch Thalheim Erzgebirgsbad S. 70–71. ↩